et* nicht schweigen, da in seinem Schatten tausend freu-
dige Stimmen sich regen. An den Winter kein Gedanke
mehr! Er hat sich zurückgezogen ans die Spitzen hoher
Alpen, und schauet von da ohnmächtig in das Frühlings-
leben hinein, das er nicht in Fesseln zu legen vermag.
Co ist alles bereit, den lieblichsten Monat des Jahres,
den Mai, zu empfangen. Endlich ist er da, der schöne,
fröhliche Jüngling, auf seiner Schulter die Nachtigall und
Blumenkränze in den duftenden Locken. Die Erde ist
ein Paradies, das Leben ein Festtag geworden.
ü !) l i n g S l i e d.
Es ist ja wahr, wir haben nun
Für Aug' und Her; die beste Weide,
Da auf dem bunten Blumenkleide
Dieß jenem es zuvor will thun.
Und prächtiger sich meint zu machen.
Daher man jetzt sieht alles lachen.
Geht, Kinder, auf das Feld zerstreut
Und pflückt euch von der Frucht des Lenzen,
Hier gelb und blau, dort grün zu Kränzen,
Beraubt das schöne Maienkleid!
Geht, von Narzissen und Violen,
So viel euch gut dünkt, heimzuholen.
Doch eh' ihr dieß und das berührt.
So schwingt zuvor aus diesen Schranken,
Hinauf gen Himmel die Gedanken,
Wo zu Gemüth euch wird geführt.
Was dort in jenen Kranz der Ehren
Für schöne Blumen doch gehören.
Der Tulpen farbenreiche Pracht
Die Zier der Lilien und der Nelken
Muß oft vor Abend noch verwelken.
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— 10 —
Auf und nieder.
Alle Gäste,
Wie zum Feste
Zu empfangen;
Vlüthenwangen
Voll Verlangen
Glühen höher,
Schweden naher
Aneinander.
In bekannter
Lieber Weise,
Still und leise.
Hell und prächtig.
Groß und mächtig,
Wie ein Held,
Kommt der Welt
Königin.
Lied, o schweige l
Bet' und steige
Du, mein Herz,
Himmelwärts!
Von den D ln men.
/lorinde hatte die Blumen sehr lieb, und sagte
oft zu ihren beiden Kindern, daß man viel daraus ler-
nen könne. Das begriffen die Kleinen aber in ihrem
kindischen Sinne nicht, obgleich sie an den Blumen we-
gen ihren bunten Farben großes Wohlgefallen fanden,
und wohl weinen konnten, wenn sie unversehens eine
mit ihren Fußen zertreten oder in der Lebhaftigkeit des
Spieles abgerissen hatten.
Daher beredeten sie sich einmal miteinander, daß
sie die Mutter bei dem nächsten Spaziergänge fragen
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— 11 —
wollten, was man eigentlich daraus lernen könne. Noch
desselben Morgens nahm sie die Mutter mit hinaus auf
eine große Wiese, wo viele Blumen bunt durcheinander
standen, und ihr Augenmerk auf sich zogen.
Da sagte der Aelteste: „Liebe Mutter! du hast uns
neulich einmal gesagt, man könne viel aus den Blumen
lernen, sage uns doch, was?"
Und der Mutter giengen die Augen über vor Freu-
de, das; ihre Kinder so wißbegierig waren. Und sie sehte
sich mit ihnen unter einen Baum, dessen Zweige die Son-
nenstrahlen abwehrten, und sing so an: „Nicht wahr,
Kinder, das muß ein guter, lieber Vater seyn, der die
Blumen jedes Frühjahr so herrlich aufwachsen läßt, und
ihnen die schönsten Farben von der Welt zum Schmucke
verleiht?"
„Der muß so gut seyn, als unser Vater, der bringt
uns auch immer was Hübsches," sagte der Jüngste;
„aber wo ist er denn? Ich habe ihn ja noch niemals
Blumen pflanzen oder machen sehen, und doch stehen
ihrer so viele hier ?"
„Leiblich, mit deinen Augen, mein Kind!" sagte die
Mutter, „wie den Vater oder mich kannst du ihn freilich
nicht sehen i denn er ist unsichtbar, ein Geist, das heißt,
ein Wesen, das man blos aus den Dingen, die es ge-
macht hat und regelmäßig erhält, so wie aus der heiligen
Schrift kennen lernen kann. Ich habe euch ja oft von
dem lieben Gott erzählt, wie er die Welt geschaffen hat
und alles, was darin ist, die Sonne, den Mond und die
Sterne, die Menschen,, die Thiere, die Bäume, kurz Al-
les, was ihr über euch und um euch und unter euch sehet
im Himmel und auf Erden."
„Die Blumen alle miteinander?" fragten Beide
verwundert.
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— 13 —
das, liebe Mutter?« fragte der Aelteste mit gespannter
Aufmerksamkeit.
„Das meine ich so, mein Kind!" belehrte die Mut-
ter. „Wenn dir ein neues schönes Kleid gekauft worden
ist, du dich gereinigt und es angethan hast: würde cs
mir daun wohl Freude oder nicht vielmehr Kummer
machen, wenn du einige Zeit nachher wieder vor mich
trätest und dich oder dein Kleid besteckt hättest? Eben
so verhält es sich mit der Seele. Die ist einer Blume
noch weit ähnlicher, als unser Leib. Sie kann Böses
und Gutes in sich aufnehmen. Jenes macht sie kränk-
lich, verderbt sie wohl gänzlich, wie der Unflath der
Erde die Blume kränklich macht und verderbt, wenn er
nicht zeitig genug davon gethan wird; dieses aber hält sie
frisch und gesund, macht sie wohlgefällig vor Gott und
den Menschen, läßt sich, wenn es in Worten und Hand-
lungen aus ihr hervorgehet, dem süßen Honige, dem
würzigen Dufte der Blumen vergleichen.«
„Jetzt haben wir dich ganz verstanden,« sagten beide
Knaben mit freudeglänzendem Blicke, „und wollen cs dir
immerdar in Wort und That beweisen«.
„Wenn ihr das thut, meine Kinder!« schloß die
Mutter, „so werdet ihr schöne Blumen in dem Garten
Gottes seyn, und von ihm gcpstegt werden mit der zärt-
lichsten Sorgfalt, und Allen, die euch sehen, Liebe und
Bewunderung einflößen.«
Im Frühling.
Du schöne Welt, wie herrlich schmückt
Dich Gott im Frühlingskleide!
Wer ist's, den nicht dein Reiz beglückt?
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— 14 —
Weß Herz schlägt nicht vor Freude?
Beim Wiederleben der Natur,
Die überall des Schöpfers Spur
So liebevoll bezeichnet?
Er schafft's, daß Segen weit und breit
Im Thaue sich ergieße;
Und er gebeut, daß Fruchtbarkeit
Im sanften Regen fließe.
O Gott, wer mißt der Gaben Zahl,
Die hier und da und überall
Uns zubereitet werden?
Das Feld in seiner bunten Pracht
Aeigt uns die schönsten Farben,
Und mehr noch - daß ein Vater wacht.
Der nie uns lasset darben.
Es grünt die Saat zur künft'gen Frucht;
Wer mit Gebet und Fleiß sie sucht.
Wird segensvoll sie finden.
Im kleinsten Grase bist du groß.
Es grünt zu deinem Ruhme;
Weit schöner noch, als Salomo's
Gewand, steht jene Blume
Im Felde da; und ihre Pracht
Verkündigt deine Schöpfersmacht,
Die sie so herrlich zeichnet.
Was ist der Mensch, o Herr, daß d^
So gnädig sein gedenkest.
Und ihm zu seiner Lebensruh
So viele Gaben schenkest?
Daß er in jeder Jahreszeit
Sich deiner treuen Güte freut.
Die für uns immer sorget?
Herr, deines Namens Ehr' und Ruhm
Soll mein Gemüth erheben;
Laß mich dir als dein Eigenthum
Gerecht und heilig leben!
Und wie mein Sinn, so sey die That,
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— 17 —
„Hört nur die süße Frühlingsstimme!" rief Marie
entzückt. „Die Töne quellen zu uns herunter, als ob sie
aus überirdische« Raumen kämen! Sie singt ihre Lust voll
aus, und weiß von keiner Unterbrechung. Wie es ei-
nem dabei so wohl um das Herz wird! Der Frühling
hält seinen Einzug darin, und die Wonne der Auferste-
hung füllt es ganz."
Da brach von allen Thürmen das Festgeläut in den
vollen Tag hinein, und die Töne der verschiedenen Glo-
cken verloren sich ineinander, als wollten sie ein Meer
von Tönen bilden, und auf den Wogen desselben das
menschliche Herz dahin tragen, wo kein Tod mehr ist, und
kein Winter den Frühling verdrängt. Marie aber rief,
als die Töne an ihr Ohr, in ihr Herz schlugen, freudig
aus: „Der Herr ist auferstanden !" — und die Geschwi-
ster sprachen es ihr freudig nach, und schwiegen, und
lauschten den festlichen Klängen in süßer Wonne.
„Das ist ein rechter Ostermorgen!" begann Herr
Gerhard beim Frühstück. „Seht nur, wie die Sonne ihre
Strahlen so mildthätig über die saugende Erde ausstreut!
Junge Blätter wollen ihr schon den Weg durch den Wald
versperren, und wenn das Wetter so fortgeht, werden
sie es bald dahin gebracht haben. Unser Garten ist die
Nacht über ganz grün geworden; die Saaten sind höher
anfgeschoßt, und das Gras der Auen unten am Flusse
steht üppiger und höher da. Es ist in der That, als ha-
be die Erde heute auch ihr Auferstehungsfest zu feiern,
als könne und wolle nichts, was Leben hat, sich länger
in ihrem dunkeln Schvoße verbergen, sondern als müsse
es hervortreten au das allerfrenliche Licht, dem es sich ver-
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— 19 —
Da fragte Lottchen: „Liebe Mutter, kann man denn
nicht immer jung bleiben?"
„Siehe", versetzte diese mit Lächeln, „auf der Erde
giebt es nichts Bleibendes, nichts Beständiges. Der
Wechsel, die Veränderung ist allen Dingen angeboren.
Das Wasser, das eben den Fluß vor uns anfüllt, ist im
Augenblicke dahin; es strömt dem Meere unaufhaltsam
zu, und an seine Stelle ist anderes getreten, das eben so
schnell wieder verdrängt wird, und so ins Unendliche fort.
Die Blüthe schmückt den Baum nur kurze Zeit; dann bil-
det sie sich zur Frucht um. Der Frühling, die Jugend
des Jahres, weicht dem Sommer, nichts mag ihn aushal-
ten, noch, wenn er einmal vorüber ist, zurückrufen. So
ist cs auch mit dem Menschen. Seine Jugend verblühet
schnell, wie die Blume des Gartens, und kehrt nicht wie-
der, ob er auch Tag und Nacht verlangend darnach rie-
fe, itnb sein Leben fähret dahin, wie ein Blitz. Nichts
als Erinnerungen bleiben ihm von der süßen Zeit übrig!
Wenn diese aber lieblich sind, und sich keine quälenden
darunter mischen, so mag er seinen Geist wohl, obschvn
der Leib altert und zuletzt zerfällt, dadurch jugendlich er-
halten, bis daß er in das schöne Land ewiger Jugend
aufgenommen wird."
„So kann man also doch in gewisser Hinsicht immer
jung bleiben?" fragte Marie.
„Allerdings!" antwortete der Vater. „Ist dir das
denn noch nie in den Sinn gekommen, wenn du in der
Gesellschaft unsers würdigen Pfarrers Gvtthold warst?
Sein Haar hat das Alter weiß gefärbt, seine Stirn ist
runzlig und sein Schritt unsicher; aber wie jugendlich ist
noch sein Geist, sein Herz! Wenn man ihn sprechen hör-
te und nicht zugleich sähe, würde mau einen Jüngling
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— 8 —
„Nennet man das Veilchen," fragte Marie hierauf,
„nicht auch das Blümchen der Bescheidenheit?"
„Den Namen verdienet es wohl," antwortete die
Mutter; „denn es wächst im Verborgenen aus niederm
Gesträuch, und doch blühet und duftet es so schon, als
irgend eine der andern Blumen."
„Und man schätzet," sagte der Vater, „und sucht
cs nicht minder, und freuet sich, wenn man es gesun-
den hat." *
„Es ist doch schon," rief Marie nach einem Weil-
chen , „daß die Natur das bescheidene schone Blümchen
so frühzeitig giebt."
„Sie will dadurch," antwortete lächelnd die Mut-
ter, „den Kindern andeuten, daß das Schone und Gute
frühe in ihnen blühen müsse, um einst erfreuliche Früch-
te zu bringen."
„Und dadurch," sagte der Vater, „daß der Früh-
ling seine erste schöne Gabe mit solcher Bescheidenheit
austheilet, lässet er uns erwarten, daß er noch viel
Großes und Herrliches uns reichen werde. Denn nur
da, wo Bescheidenheit und Demuth wohneu, kann das
Edle und Große gedeihen."
Nun fand Marie an der Hecke unter Dornen ein
völlig aufgeblühetes Veilchen. Aber ein voller Thau-
tropfen glänzte in dem blauen Kelch des Blümchens,
und beugte es durch seine Schwere zur Erde nieder.
Da stand das Mägdlein, und schauete die Blume
an, und sprach: „Der schwere Tropfen wird das Veil-
chen ganz zerstören und zur Erde neigen."
„Nicht doch, Marie," antwortete die Mutter,
„der helle Tropfen glänzet ja in dem schönen Kelch, wie
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Extrahierte Personennamen: Marie Marie Demuth Marie Marie,"
— 24 —
Wandel kräftig aufgemuntert. Glücklich, wer einen so
herrlichen Beruf hat, und wem cs, ihn vollkommen aus-
zufüllen, weder an Lust, noch Kraft fehlt!"
„Bin ich denn auch euch," wendete sich Herr Gott-
hold jetzt zu den Kindern, „bin ich denn auch euch, meine
Lieben, verständlich gewesen?"
„Gewiß, Herr Pfarrer!" antwortete Marie. Sie
haben so schon gezeigt, wie uns der Frühling erst durch
die Auferstehung des Heilands recht lieblich werde, wie
er vhnedieß nicht die Hälfte von Lieblichkeit haben würde.
Das habe ich alles gar wohl begriffen. Wäre der Früh-
ling auch noch so angenehm, sagten sie, so würden wir
doch unsers Lebens kaum froh werden, wenigstens nicht
auf die rechte Art, wenn wir wegen der Hoffnung unserer
Fortdauer nach dem Tode in Ungewißheit schwebten. Es
würde uns bei jedem Frühlinge, der aufblühte, der Ge-
danke bange machen: Ach! vielleicht ist cs der letzte, den
du genießest, und dann ist es aus mit dir!"
„Und vom Paradies haben Sie auch gesprochen,"
siel Bertha ein , „und daß wir einst Engel werden sollen."
„Recht so, ihr Lieben!" versetzte Herr Gotthold,
und zog die kleine Bertha zu sich hin an den Stuhl, hob
sie auf sein Knie, und streichelte ihr liebkosend das blonde
Haar aus dem holden Gcsichtchen. „So ein aufmerksa-
mes Kind," fuhr er fort, „mag ich wohl leiden, und
wenn du gut bist und fromm, so wirst du einst auch ein
Engel, lind kommst in das Paradies, wo der Frühling
tausendmal schöner blüht, als auf unserer Erde. Was
wird das für eine Freude seyn, wenn wir uns dort wie-
dcrsinden."
„Aber Sie müssen noch lange, lange bei uns bleiben,
lieber
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Extrahierte Personennamen: Marie Bertha Gotthold Bertha
— 20 —
voll Kraft und Feuer vor sich zu haben meinen, so frisch
ist Alles, und so weit entfernt von der gewöhnlichen Grä-
melei des Alters. Aber die Jugend zu erhalten, ist eine
eigene Knnst, die nur wenige Menschen fassen, wiewohl
Jeder das Geschick dazu hat. Der ernstliche Wille fehlt
einzig und allein, sonst wäre sie wohl allgemein in An-
wendung. Doch was ich dir sage, gilt nicht von der äu-
ßern, sondern blos von der innern Jugend: denn je-
ne ist, wie die Blüthe des Baumes, eine fiüchtige Er-
scheinung der Natur!"
„Du sprichst in Räthseln, lieber Vater; erkläre dich
uns deutlicher," baten die Kinder.
„Wenn ihr unsern lieben Hansfreund Gotthold fra-
gen würdet: Guter Greis, sage uns doch, wie du cs an-
gefangen, daß das Alter deinem Geiste und Herzen nichts
hat anhaben mögen, daß es nur deinen Leib heimgesucht,
deine Seele aber frei gelassen hat? so würde er euch ganz
kurz etwa so antworten: Nun, ich quälte mich nicht mit
eitcln, unnöthigen Sorgen, sondern warf Alles, was mir
Pein und Kummer hätte machen können, auf den Herrn,
vor dessen Augen ich immerdar wandelte, den ich stets
im Herzen hatte. Ward mir Regen geschickt, so dachte
ich: der Himmel hat auch eine Sonne, die dich morgen
erquicken wird, und so sah ich die Erde und das Leben
immer mit heitern Augen an, wie ein Kind, das vor
schwarzem Gewölk zwar augenblicklich erschrickt und zagt,
aber wenn cs ausgeblitzt und ausgedonnert hat, sich
auch sogleich wieder an der Bläue, die nun zum Vor-
schein kommt, und an dem Sonnenlicht, das über die
beregnete Flur bricht, herzlich freuet und erquickt. So
würde er etwa antworten — und dann käme es auf euch
an, ob ihr diese herrliche Kunst erlernen und anwen-
den wolltet."
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